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Eine Kurzgeschichte von einem äußerst bemerkenswerten Menschen
Sternenklar
„Ach nö!“, entfuhr es ihm leise, als er die Tür öffnete. Die anschließende, ebenfalls leise zu sich selbst gesprochene Erkenntnis, dass es heute – natürlich – auch wieder regnete, ließ seine Stimmung endgültig zum Sinkflug ansetzen. Gerade mal fünf Uhr morgens und der Tiefpunkt des Tages war schon erreicht.
Er war um halb fünf aufgestanden, weil er Frühdienst hatte. Gerade heute hatte er wenig Lust dazu. Und obwohl er rechtzeitig zu Bett gegangen war, lag die Müdigkeit noch bleiern auf seinen Augenlidern. Dann schmerzte sein linker Fuß aus unerfindlichen Gründen ein wenig. Und jetzt musste er auch noch eine Stunde zur Arbeit fahren – durch den Regen, na prima!
Einige schmale Streifen weißlich-gräulichen Lichtes schimmerten an den Stellen des Himmels durch, an denen die Wolkenbänder aneinanderstießen und deswegen weniger dicht waren. Erst vor wenigen Nächten war Vollmond gewesen. Dieses Mal hatte er eine enorme Leuchtkraft. In den wenigen Momenten der vergangenen Tage, an denen er nicht von Wolken verdeckt war, wirkte der Mond wie eine im freien hängende 100-Watt-Glühbirne, so grell leuchtete er. Dann war es war so hell, dass man Landschaften, Bäume, Felder und sogar den Straßenverlauf mit bloßem Auge erkennen konnte. Anscheinend hatte der Mond nicht viel von seiner Leuchtkraft eingebüßt: Er schickte sein Licht durch diese Bänder, als wollte er sagen: „Ihr könnt mich nicht sehen, doch ich bin da.“
Während er lustlos zum Carport schlenderte, schaute er sich das Lichtspiel an und fragte sich, ob der Ausdruck vom Silberstreif am Horizont vom Mond her rühren könnte. Ihm aber wäre es lieber gewesen, er hätte den Mond und den Sternenhimmel sehen können. Wenn es wolkenlos war, war ein gigantisches Sternenmeer zu sehen, nicht nur ein paar Punkte, wie in der Stadt, in der er vorher gelebt hatte. Wenn er etwas an diesem gottverlassenen Ort liebte, war es der Sternenhimmel, der ihm auf eine seltsame Art und Weise Trost spendete.
Er stieg ein, schmiss seine Sachen auf den Beifahrersitz, startete den Wagen und fuhr los. Es regnete zwar, aber doch nicht so stark, als dass er sich genötigt sah,
die Scheibenwischer durchlaufen zu lassen. Das war ihm ganz lieb, denn sie quietschten ein wenig.
So schubberten die Wischlippen alle paar Sekunden einmal über die Scheibe, als er durch „sein“ Dorf fuhr. Die Bezeichnung „Dorf“ war aus seiner Sicht viel zu hoch gegriffen. Es gab einen kleinen
Ortskern mit etwa 10 Häusern. Zum Ortsausgang hin jedoch standen nur noch vereinzelt Häuser an der Straße, dazwischen immer gut 100 bis 300 Meter, an denen man an Feldern und Wiesen vorbeifuhr. Gäbe
es keine Straßenlaternen, man würde stellenweise glatt denken, man befände sich bereits auf einer Landstraße.
Und genau an einer solchen Laterne passierte es.
Der Scheibenwischer hatte gerade gewischt, kleine, feine Regentropfen versammelten sich wieder auf der Scheibe. Sein Auto passierte eine Laterne und als diese gerade über den oberen Rand der Windschutzscheibe verschwand, schaute er zu eben diesem Rand hinauf.
Während er durch die Scheibe in die Dunkelheit sah, brach sich das Licht der zurückgelassenen Laterne noch einmal an den Regentropfen und für den Bruchteil einer Sekunde schien es, als wäre das Firmament mit zig kleinen Lichtpunkten übersäht, genauso, wie er es von den geliebten, sternenklaren Nächten kannte.
Er fing an zu lächeln, während er den Blick wieder auf die Straße lenkte und seine Stimmung stieg. „Die Sterne strahlen ja doch. Und diesmal haben sie es nur für mich getan, denn nur ich konnte sie sehen.“
Michael Retza
Ein Text von Alina Mathias, geniale und tiefgründige Textvirtuosin
Spieglein, Spieglein sag mir, wann fang ich an, mich so frei zu benehmen, wie ich bin?
„Du hast doch schon ersten wichtigen Schritt gemacht“, antwortet mir mein Spiegel, „du hast erkannt, dass du grundsätzlich frei bist. Das die Grenzen in deinem Kopf entstehen. Gut, du hast recht,
wenn du sagst, es gibt auch andere Menschen, die dir gewisse Ängste ungefragt in den Kopf pflanzen. Und dass es leichter ist, sich vorzustellen, Dinge zu tun, als sie in der Realität wirklich
umzusetzen.
Aber ich glaube, was du jetzt hören musst, ist, dass das die einzige Möglichkeit ist, die Angst loswerden. Die Sachen machen, obwohl und vielleicht auch gerade, weil du nachts viel zu lange darüber
grübelst. Diese Nacht und die nächste und die übernächste… du kennst diese alte Leier besser als ich.
Was hilft ist, es zu tun und zu merken, das rein gar nichts passieren wird, vom dem,
was dich hat zögern lassen.
Oder vielleicht passiert auch doch etwas in diese Richtung, ich will natürlich keine falschen Versprechungen machen. Aber die entscheidende Lektion ist dann, dass das Leben trotzdem
weitergeht.
Dass die Menschen, die in dein Leben gehören und denen du ebenso wichtig bist wie sie dir, sich dann entweder sehr mit dir freuen werden, wenn alles gut geht oder aber sich zu dir in dem entstandenen
Chaos durchkämpfen und einfach nur da sind, bis du bereit bist, mit ihrer Hilfe wieder aufzuräumen.
Danach sieht bestimmt nicht alles genauso aus wie vorher, aber hey – es ist dann eine einzigartige Kreation und vielleicht hast du, währenddessen Dinge gefunden, die du schon lange gesucht
hast.
Du siehst, es lohnt sich, etwas zu riskieren und je öfter du es tust und merkst, dass du selbst das Schlimmste, was passieren kann, meistern wirst, wenn es eintritt, desto freier wirst du dich
benehmen.
Es ist wie beim Seiltanzen: Du kannst nicht lernen, dem Sicherheitsnetz zu vertrauen, wenn du dich nicht wenigstens ab und zu absichtlich fallen lässt.
Und mit jedem Mal, das du aufgefangen wirst, wird dein Tanz dort oben unbeschwerter. Und du hast dieses Netz, glaub mir. Da sind ein paar großartige Freundinnen, die ganz freiwillig – aus Liebe -
alles tun werden, damit du sicher landest. Vielleicht nicht wie eine Katze immer auf den Beinen, aber du wirst wieder aufstehen.
Also trau dich! Das Leben ist zu kurz, um immer nur die eine Choreografie zu tanzen, bei der kein Risiko besteht, das dir jemand auf die Füße tritt.
Alina Mathias